Herbert Volkmann

Realitätsverwerfungen
Neue Werke von Herbert Volkmann

Die Ausstellung Society Coma in der Galerie SEXAUER zeigt elf neue Arbeiten von Herbert Volkmann, vor allem aus den Jahren 2013 und 2014. Obwohl es sich mit Ausnahme der beiden Hauptarbeiten der Ausstellung wie häufig bei Volkmann um eher kleinformatige Bilder handelt, behaupten sich diese problemlos in der großen Ausstellungshalle. Es sind sowohl inhaltlich wie formal reichhaltige, langsam gewachsene und äußerst vielschichtige Arbeiten, deren ästhetische Grenze nicht an ihrer Rahmenkante endet. Die sie umgebende Leere auf den fünf Meter hohen Galeriewänden ist sinnstiftend, zumal es hier um die Ausstellung fast aller Werke geht, die in den letzten drei Jahren entstanden sind. Herbert Volkmanns Weg zu einem Bild ist nicht schnell und weder gleichförmig organisiert noch gar schematisiert. Vielmehr geht Herbert Volkmann bei seiner Arbeit an einem Bild durch langwierige „Inkubationsgeschichten“, die vom Sammeln und Zusammenstellen der Bildvorlagen über das Repetieren der narrativen Idee mit unterschiedlichen Gesprächspartnern bis zur schrittweisen Verdichtung der malerischen Ebenen reichen. Es ist ein arbeitsreicher und manchmal widerstandsvoller Weg, ein Kampf mit dem Motiv, der bisweilen auch ins Unvollendete führt. Was sich bei SEXAUER nun als sechste Einzelausstellung des Künstlers manifestiert, hat sich Herbert Volkmann regelrecht von seinem Leben abgerungen. Unabhängig von den behandelten Themen, über die noch zu sprechen sein wird, sind seine Bilder dabei immer auch existentielle Zeugnisse.

Bei wenigen Künstlern ist die Kenntnis der Biographie ähnlich entscheidend für die Lektüre der Arbeiten wie bei Herbert Volkmann.  Seine erstaunliche Geschichte vom hochbegabten Kunststudenten und Meisterschüler über die Arbeit als Juniorchef im väterlichen Fruchtgroßhandel, verbunden mit dem Aufbau einer gerühmten Sammlung zeitgenössischer Kunst bis hin zum Neubeginn als Maler nach persönlichen Abstürzen und wirtschaftlichem Konkurs ist wiederholt und ausführlich beschrieben worden. Der wohl beste Text dazu erschien 2007 in der Zeitschrift Monopol und stammt von dem Journalisten und Buchautor Marc Fischer, der vier Jahre später durch Selbsttötung aus dem Leben schied. Sehr lesenswert ist auch Clemens Meyers introspektive, auf den biographischen Fakten basierende Studie des Malers in einer 2008 veröffentlichten Sammlung von Kurzgeschichten.  Herbert Volkmanns Leben ist dabei auf völlig andere Weise mit seiner Kunst verschränkt als etwa bei seinem engen Freund Jonathan Messe, mit dem er 2009 eine groß angelegte Doppelausstellung im Mönchehaus Museum in Goslar zeigte. Auch die Wirkung von Meeses Werk ist nicht ohne dessen Person verständlich, doch begegnet dem Publikum bei seinen öffentlichen Auftritten eine Kunstfigur. Über das private Leben von Meese ist so gut wie nichts bekannt. Herbert Volkmann hingegen steht mit seinem Leben völlig ungeschützt vor seinem Werk, und er bekennt sich ungeschminkt und ohne Selbstmitleid zu allen Facetten.

Herbert Volkmann war bis vor zwei Jahren über Jahrzehnte von Rauschmitteln abhängig. Dies ist der rote Faden seiner von vielen Brüchen gekennzeichneten Existenz. Ähnlich wie bei den Texten von William S. Burroughs gewinnt man keine angemessene Haltung gegenüber dem Werk, wenn die Drogensucht des Autors nicht offen verhandelt wird, zumal sie in beiden Fällen auch motivisch im Zentrum steht. Dies war vor allem bei Volkmanns Werken der Fall, die von 2000 bis 2008 entstanden sind.  Verbunden mit einer starken imaginativen Prägung durch die Malerei Francis Bacons und die Filme von David Cronenberg ist der Drogenrausch in diesen Jahren die wesentliche Quelle seiner bildlichen Inspiration.

Im Jahr 2009 kam Herbert Volkmann mit einer lebensbedrohenden Sepsis und Endokarditis ins Krankenhaus und musste am offenen Herz operiert werden. Zwei Jahre später folgte eine zweite Operation. Danach stellte Herbert Volkmann die Einnahme von Drogen zum ersten Mal in seinem Leben konsequent ein, nicht zuletzt dank der stabilisierenden Wirkung der Ateliergemeinschaft mit dem jungen Maler Alexander Iskin sowie dank der Freundschaften zu dem Sammler H.G. Schröder und dem Sammlerehepaar Herrmann. Seit dieser Zeit verfestigt sich in Volkmanns malerischem und zeichnerischem Werk ein neues Vokabular, das wie bisher biographisch abgeleitet werden kann, sich aber als Weiterentwicklung von bereits früher angelegten Motiven darstellt.  So ist das Thema von Rausch, Entgrenzung und Abhängigkeit zwar weiterhin präsent, doch nun ausschließlich indirekt, gleichsam als Nachhall in Form von sympathetisch aufgeladenen Künstlerfiguren. Mehrmals hat er beispielsweise in den letzten Jahren Frank Sinatra gemalt. Und wegen ähnlicher Wahlverwandtschaften erscheinen in seinem jüngeren Werk auch Elvis Presley, Dean Martin, Pete Doherty oder Amy Winehouse als Verkörperungen eines exzessiven Künstlertypus, wie ihn für Volkmann früher vor allem Rainer Werner Fassbinder darstellte. Die 2011 an einer Alkoholvergiftung verstorbene Sängerin Amy Winehouse hat er drei Mal gemalt. Das erste Mal in Form eines Doppelporträts mit Pete Doherty, basierend auf einem Presse-Foto, bei dem Volkmann die beiden Figuren durch mehrere Schlangenwesen verbindet, in denen Urängste, die Gefahr ihrer Sucht und die gegenseitige Abhängigkeit zum Ausdruck kommen. Das zweite Mal in einer berückenden Frontalansicht, bei der die Tragödie ihrer Existenz sofort greifbar wird und ein drittes Mal als Sängerin während eines Auftritts. Ihr geöffneter Mund wird bei diesem Bild teilweise verdeckt durch ein Crashbecken im Vordergrund und scheint sich in einer klangerfüllten Ausdehnung zu vergrößern. Die Anlage des Bildes lässt vermuten, dass Herbert Volkmann dabei ein berühmtes Statement von Francis Bacon verarbeitet hat, in dem dieser seine Obsession für den menschlichen Mund in poetischer Weise mit der Verführungsgewalt eines impressionistischen Farbrausches verglich.

Neben diesen symbolisch aufgeladenen Porträts von größtenteils bereits verstorbenen Künstlern, die das Porträtwerk von Personen aus seinem engeren Umfeld (u.a. Jonathan Meese, Clemens Meyer, HG Schröder, Harald Falckenberg) typologisch ergänzen, verfolgt Herbert Volkmann einen weiteren narrativen Strang mit Repräsentanten politischer oder wirtschaftlicher Macht. Angefangen bei einer Serie mit Nazi-Größen von 2008 erscheinen danach in chronologischer Folge Josef Ackermann, Helmut Kohl und Leo Kirch, Angela Merkel, Karl-Theodor zu Guttenberg und zuletzt Charles und Camilla in Szenarien, die das Thema einer von Imaginationen überlagerten oder vielmehr durchdrungenen Wirklichkeit wirksam weiter führt.

Herbert Volkmann arbeitet auf der Grundlage von öffentlich verfügbarem Bildmaterial aus Magazinen, Filmen und dem Internet, das er einerseits samplet – also in neuen Kombinationen zusammenstellt – und andererseits collageartig verbindet und mit neuen Motiven ergänzt. Das Vorgehen war in der Vergangenheit gleichsam viszeral angelegt. Immer wieder ging es analog zum Drogenkonsum um Verdauungsprozesse und eine biologisch gestimmte Bildsprache, in der die unterschiedlichen Bildquellen  und -schichten zu einer synoptischen Einheit verschliffen wurden.

Strukturell verwandt dazu ist das Motiv der Spiegelungen in den jüngeren Werken. Die beiden kompositionell fast identischen Autoszenen mit Charles und Camilla in den beiden großformatigen Hauptwerken der Ausstellung finden Vorläufer in zwei Bildern aus dem Jahr 2010, in denen das Ehepaar Guttenberg bzw. Merkel und Putin geisterhaft aus dem Fonds von Limousinen schauen. Der teilprivate Raum ihrer Fahrzeuge als Vehikel der Macht wird dabei von einer Öffentlichkeit überformt, die durch das Auge der Fotografen auf sie eindringt und gleichzeitig an der reflektierenden Autoscheibe gebrochen wird, außerdem erscheint in einer Spiegelung im Fensterrahmen des Fahrzeugs ein verstecktes Selbstportrait Volkmanns. In diesem Reportage-Setting durchdringen sich Wirklichkeit und mediengenerierte Fiktionen gegenseitig. Bei den Szenen mit Charles und Camilla wird dieses Prinzip noch gesteigert mit der geschichtlichen Dimension von Prinzessin Dianas Tod. Am 31. August 1997 verunglückte die zeitweise am häufigsten fotografierte und gefilmte Frau der Welt durch einen Autounfall während einer Flucht vor Paparazzi durch die Pariser Innenstadt. Herbert Volkmann verarbeitet dieses Ereignis als fiktive Verschränkung von Zeit und Raum, in dem sowohl die schicksalhafte Beziehung der Protagonisten zum Ausdruck kommt als auch die flottierenden Mechanismen der zeitgenössischen Medienmaschinerie auf unser Bewusstsein. An diesem Punkt lässt sich auch ein Bogen zurück zu den von Herbert Volkmann porträtierten Ikonen aus dem Kulturbereich schlagen.  Sie sind ebenso medial vervielfältigte Personen und ihre Bedeutung und Präsenz ist das Resultat einer weltweiten, gemeinschaftlich konstruierten Fiktion. Herbert Volkmanns imaginativer Radius hat sich in seinen neuen Bildern von einem privaten, ja intimen und durch Drogen induzierten Pandämonium zum kollektiven Fantasma unserer heutigen Medienwelt erweitert.

Marc Wellmann

 

Warped Reality
New works by Herbert Volkmann

The exhibition Society Coma in the SEXAUER gallery shows eleven new works by Herbert Volkmann, particularly from the years of 2013 and 2014. As is often the case with Volkmann, all but the two main works of the exhibition are rather small formats. Nevertheless, they easily hold their own in the large exhibition hall. The aesthetic value of these slowly grown and multi-layered works rich in content and form exceeds the edge of their frames. The surrounding emptiness on the gallery walls with a height of five meters gives them purpose, specifically since this exhibition comprises nearly all the works he created in the last three years. Herbert Volkmann’s path to the picture is not a fast one. It is not consistently organized and certainly not aligned with a pattern. Instead, Herbert Volkmann's work on a picture goes through long “incubation stories” that range from collection and assembly of the picture templates to repeating the narrative idea with different interview partners to condensing the painting levels step by step. His path is work-intensive and sometimes subject to strong resistance. It is a fight with the motif, sometimes leaving the result uncompleted. His sixth’ individual exhibition at SEXAUER is literally a part of Herbert Volkmann’s life sacrificed. Independently of the subjects treated, which will be dealt with later, his pictures are always existential documents as well.

There are few artists whose biography must be known as well to properly read their work as Herbert Volkmann. His surprising past as a talented art and master student to working in his father's large fruit – selling company as the boss’s son, connected with building a famous collection of contemporary art and finally culminating in starting over as a painter after personal lows and insolvency of his business have been described often and in great detail. The likely best-known text on this appeared in 2007 in the magazine “Monopol”, written by Journalist and author Marc Fischer, who committed suicide four years later. Clemens Meyer’s introspective study of the painter based on his biography, written for a collection of short stories that was published in 2008, is worth reading as well. Herbert Volkmann’s life is linked with his art in an entirely different way than that of, e.g., his close friend Jonathan Messe, with whom he had a large double exhibition in the Mönchehaus Museum in Goslar in 2009. The effect of Meese's work can only be appreciated with some knowledge of his person as well. His audience, however, meets an artificial character when he has his public appearances. Almost nothing is known about the private life of Meese. Herbert Volkmann, in contrast, exposes his life in his work without any protection at all. He fully acknowledges all facets without the slightest hint of self-pity.
Herbert Volkmann was an addict for decades until only two years ago. This is the recurring theme of his existence, characterized by many breaks. Similar to the texts by William S. Burroughs, his work cannot be appropriately considered if the author’s drug addiction is not dealt with publically, specifically since it is a central theme of motifs in both cases. This was particularly present in Volkmann’s works from 2000 to 2008. In connection with a strong imaginative characterization by the paintings of Francis Bacon and the movies by David Cronenberg, drug inebriation was an essential source of his inspiration for painting during these years.

Herbert Volkmann ended up in hospital with sepsis and endocarditis threatening his life in 2009. He had open-heart surgery, followed by another surgery two years later. After this, Herbert Volkmann stopped taking drugs consistently for the first time in his life. The stabilizing effect of sharing a studio with young painter Alexander Iskin and his friendships with collector H.G. Schröder and collectors' couple Herrmann helped with this as well. Since then, Volkmann’s paintings and drawings have been acquiring new vocabulary, as before relating to his biography but being considered a further development of earlier motifs. The subject of inebriation, removal of borders and addiction is still present, but has moved to an exclusively indirect area, virtually appearing as an echo in the form of sympathetically charged artist’s figures. For example, he painted Frank Sinatra several times in the last few years. Because of similar affinities, his more recent work also included Elvis Presley, Dean Martin, Pete Doherty or Amy Winehouse, representing an excessive type of artist of the kind that Volkmann used to see embodied mainly by Rainer Werner Fassbinder. He painted singer Amy Winehouse, who died of alcohol poisoning in 2011, three times. The first time in the form of a double portrait with Pete Doherty, based on a press photograph. In this picture, Volkmann connected the two figures with several snake creatures to express primal fears, the danger of addiction and mutual dependency. The second picture shows her in an enchanting frontal view that makes the tragedy of her existence tangible at once. The third shows her as a singer during a show. Her open mouth is partially covered by a crash cymbal in the foreground and seems to expand in a sound-filled space. The way the picture is composed suggests that Herbert Volkmann used a famous statement of Francis Bacon for inspiration, in which he poetically compared his obsession with the human mouth to the power of seduction of an impressionist color surge.

In addition to these portraits of mainly deceased artists, charged with symbolism, to typologically supplement the portraits of persons from his closer environment (e.g. Jonathan Meese, Clemens Meyer, HG Schröder, Harald Falckenberg), Herbert Volkmann pursues another narrative strand with representatives of political or economic power. Starting with a series of Nazi leaders from 2008, he chronologically went on with Josef Ackermann, Helmut Kohl and Leo Kirch, Angela Merkel, Karl-Theodor zu Guttenberg and last Charles and Camilla in scenarios that effectively continue the theme of a reality overlaid with or rather penetrated by imagination.

Herbert Volkmann works based on publicly available pictures taken from magazines, movies and the Internet, which he samples – that is, puts together in new combinations – as well as combines as collages and supplements with new motifs. The procedure used to be almost visceral in the past. He often focused on digestive processes and a biologically coordinated language of images in accordance with drug consumption. Different image sources and layers were merged into a synoptic unit.

This is structurally related to the motif of mirroring in his more recent works, the two nearly identically composed car scenes with Charles and Camilla in the two large-format main works of the exhibition have their predecessors in two pictures from 2010, where the Guttenberg couple and Merkel and Putin are looking out from the backs of sedan cars in a ghostly fashion. The partially private space of their cars as vehicles of power is covered by a publicity that crowds in on them through the photographer’s eye, at the same time being broken at the reflecting car window. The reflection in the car's window frame also hides a self-portrait of Volkmann. In this report setting, reality and media-generated function penetrate each other. The scenes with Charles and Camilla once again increase this principle by the historic dimension of Princess Diana’s death. The once most-frequently photographed and filmed woman in the world died on 31 August 1997 in a car accident while trying to escape paparazzi in the inner city of Paris. Herbert Volkmann uses this event as a fictional link of time and space, expressing both the fateful relationship between the protagonists and the floating mechanisms of the contemporary media machinery with its effects on our awareness. This relates back to the cultural icons portrayed by Herbert Volkmann, which are also people reproduced often by the media. Their meaning and presence are the result of a global, communally constructed fiction. Herbert Volkmann’s imaginary radius has expanded in his new pictures, moving from a private or even intimate drug-induced pandemonium to a collective fantasy of today’s media world.

Marc Wellmann